O.K. Computer

Veröffentlichung in "Der Storch", 2002.

Wenn Null hieße: Alles abzuschalten und noch mal von vorne anfangen – was wäre dann die Nummer Eins?

Zur Erinnerung: 1992. Die Revolution. Mein erster Computer. Verkaufte mir so’n Informatik-Student im 17. Semester mit langem lichten schwarzen Haar – auf Kopf und Rücken. Arne hieß der, glaube ich. Damals Samstagnacht-Dj in Bonns einziger Szene-Disco. Ich erinnere mich, wie ich die Kiste abholte. Bei Arne. In seiner kleinen mit Platten- und Computerkrams vollgestellten Wohnung, in der einem der Geruch von Katzenfutter und -furz die Kehle zuschnürte. Mittendrin Arne. In einem seiner üblichen ärmel- und farblosen Samstagnacht-Dj-T-Shirts, aus dem seine Schulter- Rücken- Brust- und Achselbehaarung quoll. Dazu: Sieben-Tage-Bart, Nickelbrille, fettig, glänzende Haut mit kleinen Pickeln drauf. Der personifizierte Mundgeruch.
Arne half mir die Sachen ins Auto zu tragen. Gab mir in einer Tour unverständliche Tips mit auf den Weg. Und seine Nummer für Notfälle. Ich erinnere mich, wie ich ihm zum Abschied die Hand drückte – und an meine Angst, in einem Jahr genauso auszusehen.

Drei Monate später:
Ich sah aus wie Arne. Ein Freund, der mir beim installieren der Kiste half, ließ mir gleich ein paar Computerspiele da. „X-Wing“. Drei Nächte durchgespielt, bis ich endlich den Todesstern zerstörte. Dann das nächste Spiel. Und das nächste. Bis mir plötzlich auf allen Körperteilen Haare wuchsen. Und meine Freundin sich mit anderen Männern traf, weil ich der personifizierte Mundgeruch war.
Da hab ich sofort alle Spiele gelöscht. Bin seitdem trocken. Was Computer-Spiele angeht. Die Beziehung hat's nicht mehr gerettet. In ihrem Abschiedsbrief hoffte sie, dass wir Freunde bleiben. Und ward seitdem nicht mehr gesehen.

Jahre später:
Längst voll auf DSL. Seitdem geht alles tierisch schnell. Kein Tag ohne Internet und Email. Jeden Morgen den Briefkasten rappelvoll. Auch wenn´s meist nur schmierige Verkaufsofferten und völlig überflüssige Forenbeiträge (nicht zu letzt meine eigenen) sind. Was soll's? Ich bin dabei! Total vernetzt. Gebe in einer Tour unverständliche Tips. Während meine Körperbehaarung sich diametral zur Kopfbehaarung entwickelt. Die Freundin steht schon wieder auf dem Sprung. Gott sei Dank wimmelt's im Netz nur so von anderen Frauen. In allen denkbaren Farben, Formen und Größen. Und alles gratis!

Gestern:
Meine Freundin hat mich beim Surfen auf Pornoseiten erwischt. Kurzer Streit, dann hat sie gesagt, sie kann nicht mehr mit mir leben. Ich sei kein Mensch, nur noch ein vernetzter Halbaffe mehr.

Heute:
Ihr Abschiedsbrief in meiner Mailbox. Sie hofft, dass wir Freunde bleiben. Manche Dinge ändern sich eben nie. Fast ein beruhigendes Gefühl.

Morgen:
Habe ich immer noch die Wahl: 0 oder 1.