"Reise nach Jerusalem" in "maß.1", 2004. - das Magazin maß.1 im Netz


Wie fühlt es sich an, dazwischen zu sein? Zwischen den Fronten? Zwischen zwei liebende Menschen. In die Zwischenzeit, leise zwischen zwei Töne...
Du wolltest dort gar nicht hin! Du bist da bloß irgendwie hineingeraten. Und jetzt weißt du nicht mehr, wie du herauskommen sollst. Kein Ausweg in Sicht. Kein Licht am Ende des Tunnels...
Muss es überhaupt immer enden? Ein Anfang und ein Ende geben. Kann es nicht einfach auch nur mal dazwischen sein? Zum Beispiel, zwischen den Stühlen...
Nein, niemand will zwischen den Stühlen sitzen. Dort ist es unbequem. Bei der Reise nach Jerusalem ist es das Aus. So wie auf diesem blöden Kindergeburtstag. Bei Rene. Er war KISS- und Schalke-Fan. Weiß ich noch, als ob es gestern wäre. Sehe seine doofen KISS-Poster an der Wand, seine blöde Jeansjacke mit dem S04-Aufnäher...
Ist das der Grund, warum ich bis heute beides nicht leiden kann? Weil ich auf Renes Geburtstag bei der Reise nach Jerusalem plötzlich zwischen den Stühlen saß und nicht mehr mitspielen durfte...
Bis wir diese wirklich wichtige Frage auflösen, zwischendrin ein bisschen WERBUNG!:

Fühlen Sie sich manchmal auch wie eine zu lang gebratene trockene Hackfleisch-Bulette eingepfercht zwischen zwei schaumgummiartige Brötchenhälften, von hämischen Menschen mit ranzigem Ketchup bespritzt, und kleine labbrige Gewürzgurkenscheiben kleben wie das Pech an Ihnen, und Sie haben das Gefühl, nur zu dem einen Zweck auf dieser Welt zu sein: um von den übelriechendsten Menschenmäulern gierig verschlungen zu werden???
DANN haben wir für Sie jetzt den neuen: ULTRA-FITORAMA! Damit fühlen Sie sich gleich wieder wie ein saftiges Hacksteak, mit knackigen Gurkenschnitten an ihrer Seite, Ihren kräftigen Samen hemmungslos zwischen zwei wohlduftende Brötchen gespritzt!!!
Zu Risiken und Nebenwirkungen...


Weiter im Text. Wo war ich stehen geblieben? Ist ja auch egal. Wer interessiert sich schon für den Schnee von Gestern, Kindheitserinnerungen, kleine KISS- und Schalke-Fans. Wer will schon zwischen den Zeilen lesen? Geschweige denn, stehen? Wir wollen IN den Schlagzeilen stehen! So groß und fett und laut es geht! Gestern noch bei Renes Geburtstag auf einem jämmerlichen fünften Platz bei der Reise nach Jerusalem: Heute bereits ein Superstar, ein Weltstar, ein Universalstar! Dazwischen ist doof. Der Weg dorthin? Pah! Interessiert doch keinen. Die Zukunft beginnt jetzt.
Bis du eines Morgens aufwachst, mitten im Dschungel, nackt in einem Loch voller Kakerlaken, Schlangen und Riesenspinnen. Nein, nein, das träumst du nur. Und du schreist im Schlaf: „Ich bin ein Star! Holt mich hier raus!“ Aber das ist gar kein Traum, nur eine weitere TV-Show. Und du fragst dich: Was ist in der Zwischenzeit passiert? Hab ich irgendwas verpasst? Was kommt bloß als nächstes? Was kann jetzt noch schlimmer sein als der Tod?
Suchend siehst du dich um, bis du dich schließlich fragst: Wo, wie, wann fing es an? Erinnerungen tauchen auf: Die erste mütterliche Ablehnung, die erste väterliche Ablehnung, die erste geschwisterliche Ablehnung, die erste Ablehnung von Freunden, Lehrern, Geliebten, Sexpartnern, Lebensabschnittspartnern, Geschäftspartnern, Arbeitgebern, Geldgebern, Wohnungsgebern, Sozialämtern, Hilfswerken, der Kirche, dem lieben Gott, den Zeugen Jehovas, sämtlichen Religionen, Utopien, Idealen, Träumen, Wünschen, Fragen, Bitten, Freundlichkeiten, ein Lächeln, ein kleines bisschen Menschlichkeit...
Ich schweife ab. Da hilft nur noch: WERBUNG!
Und nach der Werbung hol ich mir ein paar Stühle, lad ein paar Freunde ein, und die Reise geht los, nach Jerusalem. Bis dahin.